Matt Damon, Ben Affleck, Vin Diesel – drei Weltstars, wie sie im Buche stehen. Gewinnertypen. Erstgewählte im Sportunterricht. Bei den begehrtesten Mädels beliebt. Und: Fans von Dungeons & Dragons. Ja, meine Freundinnen und Freunde: Die Zeit, in der wir uns für unsere nerdigen Interessen schämen mussten, ist vorbei. Die Außenseiter von gestern sind die Stars von heute. Nach „Big Bang Theorie“ und „Game of Thrones“ sind die – schon immer fragwürdigen – Mauern zwischen Konvention und dieser wundervollen Nische eingestürzt.
Für Viele, einschließlich mir selbst, fehlt jedoch die Zeit, das damalige Hobby „Rollenspiel“ jetzt im Erwachsenenalter auszuleben. Job, Familie und Alltag – drei Zeitkiller die zu unüberwindlichen Hindernissen in den Himmel wachsen (zumindest wenn die Kinder noch zu klein sind, um mitzuspielen). Und manchmal fragt man sich, ob man noch in der Lage ist, die Sache ernst genug zu nehmen – das Leben hinterlässt bedauernswert tiefe Spuren in der kindlichen Fantasie. Man muss höllisch aufpassen, dass sie nicht völlig plattgetreten wird.
Hilft „Castle Ravenloft“ aus dem Hause „Wizards of the Coast“? Der „Dungeon Crawler“ gilt als Brettspiel mit Rollenspielatmosphäre – schnell aufgebaut, schnell verstanden, schnell gespielt. Auf der angenehm großen, schweren Spielebox steht trotzdem „Dungeons & Dragons“ – und das Herz schlägt höher. Hält es, was es verspricht?
Spielverlauf
In „Castle Ravenloft“ kämpfen sich die Helden durch das Schloss des untoten Grafen Strahd. Jeder Spieler erhält eine Miniatur und bewegt sich auf in quadratische Felder unterteilten Dungeon-Teilen, die Zug um Zug erweitert werden. Zuvor wählt man einen Charakter aus einem klassischen Rollenspielrepertoir: Kämpfer, Kleriker, Kämpfer, Schurke oder Zauberer.
Jeder Zug ist in drei Phasen unterteilt: Die Aktionsphase, in der die Helden sich bewegen oder angreifen. Die Erkundungsphase, in der neue Dungeon-Abschnitte wie Puzzleteile an den Spielplan angelegt werden – in aller Regel erscheint darauf ein Monster. Schließlich die Bösewichtphase, in der die auf dem Spielpan befindlichen Monster zum Leben erwachen, um die Helden in die Hölle zu schicken.
Die Aktionsphase wird durch die unterschiedlichen Fähigkeiten der Charaktere bestimmt. Diese können aus einem individuellen Charakterrepertoir zu Beginn gewählt werden.

Kämpfer haben vorwiegend Angriffsfähigkeiten für den Nahkampf, Kleriker können heilen, Schurken schießen mit dem Bogen über mehrere Dungeon-Abschnitte hinweg. Dabei muss für einen Angriff, Zauber oder eine andere Aktion stets gewürfelt werden. Die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges hängt dabei von den eigenen Charakterwerten ab. Wie beim klassischen „D&D“-Rollenspiel nutzt man dafür einen zwanzigseitigen Würfel – da werden Erinnerungen wach. Besiegt man ein Monster, erhält man Erfahrungspunkte und Schätze, die die eigenen Möglichkeiten erweitern.

In der Phase des Bösewichts kommen die Monster zum Zug und versuchen, den Helden einen grausamen Tod sterben zu lassen. Hat kein Held während der Aktionsphase ein neues Dungeon-Feld aufgedeckt und fehlt es somit an neuen Monstern, muss in dieser letzten Phase zwingend eine Begegnungskarte gezogen werden, die so gut wie immer Schlimmes bedeutet: Fallen, giftige Nebel, Monsterschwärme und so weiter und so fort. Die gesammelten Erfahrungspunkte können die Spieler aber „ausgeben“, um das Ziehen dieser Karte zu verhindern. Erfahrungspunkte können daneben auch zum Levelaufstieg genutzt werden – die Charakterentwicklung ist mit insgesamt zwei Levels aber beschränkt und dem kurzweiligen Spielkonzept angeglichen.
Das Ziel ist je nach Abenteuer unterschiedlich. Im beigelegten Adventure-Buch finden sich eine Reihe von Szenarien mit steigendem Schwierigkeitsgrad. So muss beispielsweise ein Artefakt gefunden oder eine besonders mächtige Bestie bezwungen werden.
Material & Setup
Die Miniaturen sind überragend gestaltet. Die Details sind großartig und eine echte Freude fürs Auge. Wer den Aufwand nicht scheut kann auch zum Pinsel greifen, bemalt sieht es natürlich noch besser aus. Schade ist, dass das sämtliche Karten sich nur durch den aufgedruckten Text unterscheiden – es gibt also keine individuellen Illustrationen für Gegenstände, Zaubersprüche und sonstige Utensilien.

Die Dungeon-Teile sind soweit in Ordnung, obwohl es auch hier noch Luft nach oben gibt. Hier durfte natürlich die Übersichtlichkeit nicht leiden, weswegen die eher monotone Gestaltung auch einen funktionalen Grund haben dürfte. Es gibt einige besondere Orte, Krypten etwa, deren zugehörige Teile gestalterisch etwas abwechslungsreicher sind. Insgesamt sieht das Spiel trotz der Abstriche gut genug aus, um schon beim Öffnen der Box für wohlige Schauer zu sorgen.
Einzelspieler
Ich kann mich gut an meine Enttäuschung erinnern, die ich beim ersten Spielen von „Castle Ravenloft“ spürte. Meine Erwartung waren hoch gewesen, ich hatte mit einem Rollenspiel in Brettspielform gerechnet. Tatsächlich ist „Castle Ravenloft“ aber ein Brettspiel mit Rollenspielanleihen. Inzwischen sehe ich die Vorteile: Das schnelle Setup, die unkomplizierten, schnell zu verstehenden Regeln, die tollen Miniaturen und das Gefühl von ein bisschen Rollenspiel. „Castle Ravenloft“ funktioniert als Brettspiel auf sehr unkomplizierte Weise, ist spannend und durch die unterschiedlichen Szenarien abwechslungsreich. Es ist ein waschechter „Dungeon-Crawler“, der sich allein oder mit Freunden in ein bis zwei Stunden spielen lässt. Wer mehr Rollenspiel und mehr Tiefe möchte muss sich an Spiele wie „Shadows of Brimstone“ oder „Gloomhaven“ halten – und deutlich mehr Zeit und Aufwand investieren.
„Castle Ravenloft“ hat bereits drei gleichgelagerte Nachfolger, mit „Tomb of Annihilation“ hat Wizards of the Cost bereits einen weiteren Teil für 2017 angekündigt. Die Dungeon-Teile, Monster, Fähigkeiten und Helden der unterscheidlichen Spiele können miteinander kombiniert werden. Im Netz finden sich eine Reihe von durch die Community erstellten Abenteuern. Auch diese modulare Vielfalt ist ein großer Pluspunkt, der nicht zu unterschätzen ist. Die neueren Spiele weisen zudem einen Kampagnenmodus auf, bei dem Ausrüstung und Charaktere von Abenteuer zu Abenteuer beibehalten werden.
„Castle of Ravenloft“ ist allein gut zu spielen, auch wenn die fehlende Spieltiefe und die recht oberflächliche Story das Thema nicht sehr intensiv transportieren. Vieles spricht für einen Abend mit Freunden – durch das Gesellige werden die genannten Mankos und die nicht allzu dichte Atmosphäre besser aufgefangen, als wenn man solo das Schloss durchstreift. Trotzdem: Auch alleine macht es Spaß, insbesondere wenn es schnell gehen muss. Allein schon, um den 1W20 zu werfen und zu sehen, ob der Hieb ins Schwarze trifft….
Insgesamt: 7,5/10