“Arkham Horror” ist ein Klassiker der Brettspiele – der mit Karten, Markern und Regelwerk vollgestopfte Geniestreich aus dem Jahr 1987 war lange Zeit der Spitzenreiter im Horror-Genre, obwohl das Spiel als überaus schwer verdaulich gilt: Es ist wahrhaftig ein Monster von einem Spiel. Für mich war diese erste Begegnung mit diesem Vertreter des Ameritrash verwirrend und frustrierend – ich wurde erschlagen vom komplexen Regelwerk, dem langwierigen Setup und einem Brettspielkonzept, dass fast vollständig auf Glück, Atmosphäre und Geschichte setzt.
Im Jahr 2014 überarbeitete Fantasy Flight das Konzept, behielt dabei aber die wesentlichen Mechanismen und das düstere Thema bei (mehr zu dem Autor H.P. Lovecraft, dessen düstere Geschichten Pate für das Szenario stehen, findet man in der Review von “Arkham Horror – Das Kartenspiel“).
“Eldritch Horror” (eldritch: unheimlich, schauerlich) war das, was heraus kam. Es ist zu einem regelrechten Verkaufsschlager geworden. Das Netz zerbricht sich nun den Kopf darüber, ob es besser ist als sein Vorgänger. Inzwischen ist die Tendenz in den Foren eindeutig: Ja, es ist. Zwar beklagen einige, dass die Seele von “Arkham Horror” verloren gegangen sei, aber der Erfolg von “Eldritch Horror” ist nicht zu leugnen. Gibt es dafür auch gute Gründe?
Spielablauf
In “Eldritch Horror” steuern die Spieler eine Gruppe von Ermittlern, die das Erwachen eines “Großen Alten” verhindern wollen. Es geht um nicht weniger als die Welt zu retten, denn die “Großen Alten” sind mächtige, ewige Kreaturen, deren Erwachen über kurz oder lang der absoluten Zerstörung gleichkommt.
Der Spieler kann aus einer ganzen Reihe dieser Ermittler wählen – sie unterscheiden sich in ihren Grundeigenschaften wie “Kampfkraft” oder “Willenskraft” (hier finden sich Anleihen an ein klassisches Rollenspiel) sowie in ihren Spezialfähigkeiten.

Ziel des Spiels ist es, den Großen Alten zu besiegen, wenn möglich, bevor er erwacht. Drei Geheimnisse muss man hierfür aufdecken – diese werden auf Karten erklärt, die nacheinander von einem gesonderten, dem jeweils gewählten Großen Alten zugeordneten Stapel gezogen werden. Sie stellen den Spielern thematisch passende Aufgaben, deren Lösung meist mehrere Runden in Anspruch nimmt. So müssen z.B. besonders tükische Monster besiegt oder Gegenstände an bestimmten Orten gesammelt und eingesetzt werden. Gleichzeitig tickt die Uhr: Auf einer Verderbenleiste wandert ein Marker unerbittlich Richtung “0”. Ist diese erreicht, erwacht der Große Alte und es wird schwieriger, das Spiel zu gewinnen – bei einem der Bösewichte geht die Welt gar sofort hops.
In drei Phasen kämpft man ums Überleben: In der Aktionsphase können Spieler zwei Aktionen ausführen, z.B. sich über den Spielplan (eine schön gestaltete Karte der Welt) bewegen, sich regenerieren und Ausrüstung erwerben.

Darauf folgt die Begegnungsphase. Die Spieler ziehen hier abhängig von dem Feld, auf dem sie sich befinden, eine Begegnungskarte – diese beschreibt ein Ereignis, das dem jeweiligen Spieler widerfährt. In aller Regel muss dieser dann eine Würfelprobe auf eine seiner Fähigkeiten durchführen. Bei Erfolg erhält man Ausrüstung, Zauber oder Hinweise, die einem dem Spielziel näher bringen. Scheitert sie, erleiden die Spieler einen Nachteil. Die Liste der möglichen Bestrafungen ist lang: Abzüge von Lebens- oder geistiger Energie, das Verlieren wertvoller Ausrüstung oder Einschränkung der Aktionsmöglichkeiten sind nur Beispiele.

Besonders niederträchtig sind Zustandskarten wie “Vergiftet” oder “Paranoia”, die zunächst keinen Nachteil bewirken, jedoch jede Runde durch ein bestimmtes Ereignis aktiviert werden können. Dann wird die entsprechende Karte umgedreht, und auf der Rückseite wird dem Spieler dann – eingebettet in einen schönen Stimmungstext – erklärt, welches Unheil nun über ihn hereinbricht. Diese Effekte unterscheiden sich. Das heißt, dass eine Vergiftung, oder ein sonstiger Zustand, je nach Karte anders endet, ohne, dass der Spieler dies vorher absehen kann: Spannend. Ansprechend ist auch die Spielmechanik, soweit einer der Ermittler ins Gras beisst: Der jeweilige Spieler kann sich einen neuen Ermittler wählen. Auf dem Spielfeld des Ablebens kann man im Rahmen einer speziellen Begegnung nun die Ausrüstung des Erbleichten abstauben.
Die letzte Phase ist die Mythosphase. Hier wird eine Mythoskarte gezogen, die wiederum eine Bestrafung für die Spieler bedeutet. Der Mythosmarker wird in dieser Phase oft weiter gen 0 gezogen. Meist öffnet sich ein Dimensionstor auf einem der Spielfelder, dann muss ein Monster gezogen werden, dass durch dieses Tor in die Welt der Spieler tritt. Je mehr Tore geöffnet sind, desto schneller wandert der Verderbenmarker gegen 0. Deshalb müssen die Spieler – als hätten sie nicht schon genug um die Ohren – auch versuchen, diese Tore durch erfolgreiche Begegnung auf diesen Feldern zu schließen.

Nach dieser letzten Phase beginnt die nächste Runde wieder mit der Aktionsphase. Diese Beschreibung darf nur als grober Überblick verstanden werden – es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Spielmechaniken, deren Beschreibung hier den Rahmen sprengen würde.
Material & Setup
„Eldritch Horror“ ist wunderbar gestaltet. Der Spielplan, die Karten und Illustrationen – alles ist wie von Fantasy Flight gewohnt, allererster Güte. Das ist auch wichtig, denn das Spiel lebt von der Atmosphäre (s. Fazit). Leider gibt es keine Miniaturen, für die Monster stehen quadratische Karton-Karten, die Ermittler sind Stand-Ups aus Karton mit einem Kunststoff-Fuß. Trotzdem tut das dem sehr guten Eindruck keinen Abbruch. Und allein die Größe und Schwere der Spielebox vermittelt einem, dass man hier eine ganze Menge für sein Geld bekommt.
Das Setup dauert seine Zeit – es geht zwar deutlich schneller als zu seiner Zeit bei „Arkham Horror“, trotzdem muss man auch als erfahrener Spieler eine viertel Stunde einplanen. Schon die Zusammenstellung des Mythosstapels braucht ein bisschen, dann müssen fast alle Kartenstapel gemischt werden (und das sind einige). Der Aufbau ist aber nicht derart mühsam, dass er sich zu einem Manko auswächst. Und ohnehin gilt – zumindest meiner Meinung nach – dass der Aufbau zum Spiel dazu gehört und die Vorfreude steigert, genau wie die lange Autofahrt in den Urlaub.
Fazit
“Eldritch Horror” lebt als klassischer Vertreter des “Ameritrash” von der Stimmung: Die Begegnungsphase ist das Herz des Spiels – die Texte auf den Begegnungskarten bauen die für das Spiel immens wichtige Atmosphäre auf. Die strategische Tiefe hält sich in Grenzen und es kommt – gerade zu Beginn – wesentlich auf das Würfelglück an. An dieser Stelle seien potentielle Käufer gewarnt:”Eldritch Horror” liefert nicht die Vielen bekannte Befriedigung, eine gewinnbringende Strategie durchzusetzen, es liefert nicht das Gefühl von Kontrolle. Es will eine Geschichte erzählen, in der die Spieler von den sinistren Ereignissen in einen erbarmungslosen Strudel gezogen werden. Nur unter größten Opfern und Rückschlägen wird man es bis zum Ende schaffen – oder eben nicht. Oft geht das Spiel ohne Fehler verloren. Wer also dem Szenario und der Geschichte nichts abgewinnen kann, wer bei Misserfolgen schnell frustriert ist oder dem Spiel seine Strategie und damit den Sieg aufzwingen möchte, wird wenig Spaß haben. Man muss sich darauf einlassen können – dafür muss man seine Fantasie bemühen. Das ist nicht jedermanns Sache.
Trifft aber das düstere Thema den Geschmack, kann man sich über ein toll gestaltetes, abwechslungsreiches Spiel freuen, das jedes Mal eine andere Geschichte erzählt. Im Gegensatz zu “Arkham Horror” ist bei jedem Spiel durch die dem “Großen Alten” zugeordneten Geheimniskarten eine übergeordnete Geschichte spürbar, die die Elemente des Spiels atmosphärisch zusammenzieht. Grundsätzlich funktioniert “Eldritch Horror” als Single-Player-Spiel hervorragend – mit mehreren Spielern ist es aber noch besser. Allein das Vorlesen der Begegnungstexte durch einen anderen Spieler, dass verhindert, dass der betroffene Spieler selbst die möglichen Konsequenzen bei Erfolg oder Misserfolg der Probe einsehen kann, sorgt für mehr Spannung. In einer Grupper Gleichgesinnter kann man zudem wunderbar gemeinsam die Geschichte leben, diskutieren und Lücken füllen. Trotzdem: Für Einzelspieler ist “Eldritch Horror” eine uneingeschränkte Empfehlung.
Inzwischen sind eine Vielzahl von Erweiterungen erschienen, die den Wiederspielwert erhöhen und für mehr Abwechslung sorgen. Angesichts des Erfolges des Grundspiels besteht auch keine Sorge, dass der Nachschub in nächster Zeit ausbleibt.
Also, worauf wartet ihr? Tretet in die Schatten und ladet den Revolver. Und dann nur noch kurz die Welt retten.
Insgesamt: 8,5/10