In Zeiten, in denen jede berühmt gewordene, im Fantastischen angesiedelte Buchvorlage medial ausgeschlachtet wird, fragt man sich, wieso die Romane von Jules Verne außen vor bleiben. Es mag daran liegen, dass sie trotz der abenteuerlichen Geschichten stets um Wissenschaftlichkeit bemüht sind. Pure Fantasy-Zutaten wie Magie und Mittelalter-Flair finden sich darin nicht. Die damals noch unentdeckten Sphären der Erde, die Jules Verne mit seiner Fantasie meisterhaft füllte, sind heute weitgehend entzaubert. Eine Reise zum Mittelpunkt der Erde? Die wird wegen dichter Gesteinsschichten und der Hitze eher kurz – Höhlen mit Riesenpilzen und seltsamen Kreaturen wirken wie eine Spinnerei. Da fällt es heutzutage schwer, mitzugehen. Einen gewissen Grad an Realismus verlangt die Fantasie eines Erwachsenen schon, um in eine andere Welt als echt zu empfinden.

Was auf dem Meeresgrund so alles passiert, ist aber auch heute noch in weiten Teilen unklar. “Nemo’s War – 2nd Edition” nimmt sich dieser Vorlage an und präsentiert sich als Abenteuer-Brettspiel, in dem der Solo-Modos die Regel ist. Wie schlägt sich das Werk von Victory Point Games?

Spielablauf

“Nemos’ War – 2nd Edition” ist ein komplexes Brettspiel, dass trotz eines hohen Glücksfaktors im Strategischen anzusiedeln ist. Das Spielbrett ist gewaltig und strotzt nur so vor Informationen, Feldern und Markern.

 

NemosWarBoard
Das hervorragend designte Spielbrett bietet immer die nötige Übersicht.

 

Wichtig sind – und dies ist stark vereinfacht – insbesondere vier Dinge:

Erstens: Drei Leisten zur Anzeige des Status von Schiffsressourcen. Hierzu zählen Rumpf, Crew und der Kapitän, Nemo höchstselbst. Zu Beginn des Spiels liegt der entsprechende Zustandsmarker auf dem denkbar höchsten Wert ganz links auf der Leiste. Wandert er im Laufe des Spieles ganz nach rechts, geht das Spiel verloren. Diese drei Leisten sind von entscheidender Bedeutung für sämtliche Würfelproben. Dazu später mehr.

Zweitens: Die Weltkarte mit den Ozeanen samt zugehörigen Feldern. Hier kann der Spieler die Nautilus, das Unterseeboot Kapitän Nemos, zwischen den Weltmeeren hin und her bewegen, Schiffe angreifen, nach Schätzen suchen und mehr. Die Ozeane haben jeweils eine bestimmte Anzahl von Feldern, die sich nach und nach mit Schiffen füllen. Sind alle Felder mit Schiffen belegt, geht das Spiel verloren.

Drittens: Die Leiste für die “negative” Bekanntheit. Sie zeigt an, wie berüchtigt die Nautilus und Kapitän Nemo sind. Wandert sie vom linken Startfeld im Laufe des Spiels weiter nach rechts, werden die den Ozean füllenden Schiffe immer stärker. Wandert sie zu weit, geht das Spiel verloren.

Viertens: Ein Kartenstapel mit Abenteuer- und Ereigniskarten, von welchem jede Runde eine zu ziehen ist. Die Karten beschreiben Ereignisse und fordern vom Spieler verschiedene Würfelproben, die je nach Ausgang Gutes oder Schlechtes bedeuten.

Der eigentliche Spielablauf vollzieht sich in drei Phasen: Dem Ziehen einer Abenteuerkarte, dem Setzen von Schiffen in den Ozeanen der Welt und schließlich dem Durchführen einer Reihe von Aktionen, mit welchen die Nautilus befehligt wird.

Erste Phase: Das Ziehen einer Abenteuerkarte. Dies löst wie beschrieben verschiedene Ereignisse aus, die vom Spieler in aller Regel das fordern, was sich durch jede Phase des Spieles zieht: Eine Würfelprobe. Ja, man würfelt ständig und unaufhörlich in “Nemo’s War – 2nd Edition”. Sei es bei Tests der Abenteuerkarten, beim Platzieren der Schiffe, beim Angriff, beim Suchen nach Schätzen oder sonstigen Aktionen. Immer sind zwei sechsseitige Würfel zu werfen.

“Langweilig”, denken Sie? Weit gefehlt.

Das Spiel schafft es, fast jede dieser Würfe spannend zu machen. Für ein Beispiel kehren wir gedanklich zurück zur ersten Phase, dem Ziehen einer Abenteuerkarte. Nehmen wir an (kein Spoiler), dort heißt es, die Nautilus habe Leck geschlagen. Diese Ereignis wird mit einem kurzen Stimmungstext und einer (tollen) Illustration greifbar gemacht. Daneben bestimmt die Karte den Schwellwert, der mit den beiden Würfeln zu erreichen ist. Nehmen wir an, dies sei eine “9”. Auf der Karte ist zudem nachzulesen, was geschieht, wenn die Probe gelingt und misslingt. Für einen Erfolg erhält der Spieler Ressourcen, Schätze oder Siegpunkte. Bei einem Misserfolg droht entsprechend deren Verlust. Jetzt kommt der Clou. Der Spieler kann bei jedem Wurf eine oder mehrere seiner Schiffsressourcen als Wetteinsatz einbringen. Dadurch erhöht sich die geworfene Probe um einen auf der Leiste für die Schiffsressourcen angegebenen Wert. Dieser Wert ist zwischen den eigentlichen Statusfeldern der jeweiligen Ressource abgedruckt. Nehmen wir also an, zum Kitten des Lecks setzen wir die Schiffsressource “Crew” ein. Da der Status der “Crew”” insgesamt noch gut ist, der Marker auf der Leiste also noch weit auf der linken Seite liegt, erhalten wir für den Wurf einen Bonus von “+3”. Wäre die Crew schon angeschlagen, wäre also der Marker auf der Ressourcenleiste schon nach rechts gewandert, wäre der Bonus bereits geringer. Es lohnt sich also, Crew und Schiff zu pflegen.

Nehmen wir an, der Testwurf ergibt eine drei und eine vier, insgesamt also eine sieben. Gemeinsam mit dem Bonus liegen wir bei 10 (7+3). Die Probe ist geschafft. Für den Fall aber, dass wir insgesamt unter dem geforderten Wert bleiben, im Beispiel also beim Würfeln z.B. einer 1 und einer 2, was mit Bonus nur auf eine 6 kommt, verliert auch die eingesetzte Schiffsressource ein Feld auf der Statusleiste, wandert also nach rechts. Man muss also genau überlegen, ob man die Wette und das Risiko, Schiffsressourcen zu verlieren, eingehen will.

Nach der gelungenen Probe sagt uns die Karte im Beispiel, dass wir als Belohnung einen Schatz ziehen dürfen und zudem die Karte auf den “Erfolg”-Stapel legen dürfen. Dieser Stapel dient am Ende beim Errechnen der Siegpunkte als eine wichtige Grundlage.

 

NemosWarAdvCard
Die Abenteuerkarten sind wunderschön illustriert und verlangen in aller Regel eine Würfelprobe.

 

Zweite Phase: Schiffe setzen. Es müssen erneut Würfel geworfen werden. Zu Beginn nur zwei, später im Spiel mehrere Würfel. Die geworfenen Augen zeigen an, in welchem Ozean Schiffe zu setzen sind. Dabei muss der Spieler wachsam sein: Ist der Ozean komplett mit Schiffen gefüllt und bietet keinen Platz mehr für Nachrücker, ist das Spiel ebenfalls verloren. Früher oder später müssen also Schiffe angegriffen und versenkt werden. Dies aber erhöht die Bekanntheit, d.h. das Maß, in dem Kapitän Nemo auf den Weltmeeren als berühmt berüchtigter Schiffsjäger gilt. Das führt dazu, dass stärkere Schiffe zu dem Schiffspool gegeben werden, aus dem die Schiffe zufällig zu ziehen sind. Treibt man die Sache zu weit, geht das Spiel gar verloren. Bei diesem Spielaspekt muss man also eine Balance zwischen einem nicht zu gefüllten Ozean und dem Ruf als notorischer Schiffskapitän machen.

Abhilfe bietet da die Möglichkeit, auf den angrenzenden Kontinenten Aufruhen anzustacheln, die vom eigenen Treiben ablenken. Gelingt dies (wieder per Würfelwurfprobe), wandert der Marker für den negativen Ruhm wieder ein Feld in Richtung der Ausgangsposition.

 

NemosWarMiniature
Mit der Nautilus, Kapitän Nemos Unterseebot, schippern wir durch die Weltmeere.

 

Dritte Phase: Aktionen ausführen. Es hängt wiederum von dem Würfelwurf in Phase 2 ab, wie viele Aktionspunkte dabei verfügbar sind: Die Differenz der zwei geworfenen Würfel bestimmt dabei deren Anzahl. Sämtliche Aktionen wie Angriff (der wiederum in zwie verschiedenen Formen möglich ist), Bewegung, die Suche nach Schätzen oder das Reparieren des Schiffes, laufen wieder über Würfelproben, bei denen die Schiffsrressourcen wie beschrieben zwecks Bonus eingesetzt und riskiert werden können. Je nach Ergebnis gelingt die Aktion besser oder schlechter, was zu unterschiedlich abgestuften Erfolgs- oder Misserfolgskonsequenzen führt. Erreicht man bei einer Reparatur des Rumpfes etwa 12 oder mehr, wird der Status des Rumpfes gleich um zwei Stufen verbessert. Bei einer 3 verliert man dagegen Stufen.

 

NemosWarTestPanel
Das gut strukturierte Spielbrett zeigt auch eine Übersicht für die Ergebnisse der Würfelproben.

 

Zu erwähnen ist hier auch die Aktion “Ausrüsten” mit der unter Verwendung versenkter Schiffe die Nautilus weiter ausgebaut und verbessert werden kann. Mann kann das Schiff so z.B. mit Torpedos oder Tarnvorrichtungen ausstatten, was sich vorteilhaft auf Angriff und Ruf auswirkt.

Nachdem eine feste Reihe von Runden gespielt ist, wird eine zuvor in den Kartenstapel eingemischte Finalkarte gezogen, die die Modalitäten des Spielendes bestimmen. Meist ist dann ziemlich schnell Schluss, und dann gilt es zu schauen, wie man abgeschnitten hat. Dies funktioniert über das Zählen der Siegpunkte. Hier kommt ein weiterer Clou: Je nachdem, ob man als Forscher, Kriegstreiber oder Entdecker losgezogen ist, werden die erzielten Erfolge unterschiedlich gewichtet. Die Anzahl versenkter Schiffe etwa zählt für den Kriegstreiber mehr als für den Entdecker. Es zeigt sich: Eine hohe Punktzahl zu erreichen, die nach der Spielbeschreibung als Sieg einzuordnen ist, ist bockschwer.

Komponenten und Setup

Die Illustrationen von “Nemo’s War” sind auf großartige Art und Weise stilvoll und deshalb ein echtes Highlight. Auch der Rest der Komponenten ist tadellos. Das Spielbrett, die Marker, die Miniatur der Nautilus. Besonders schön sind auch die Kristalle, die die Schätze in den Ozeanen symbolisieren.

Hervorzuheben ist auch die gute Struktur und Übersichtlichkeit des Spielbretts. Hier haben sich die Designer mit Erfolg große Mühe gegeben. Auch die Anleitung ist gut strutkuriert und verständlich gehalten, aufgrund der hohen Komplexität muss man aber ein paar Stunden einplanen, bis man flüssig spielen kann. Insgesamt gibt es bei den Komponenten nichts zu Meckern. Wichtig zu Wissen: Das Spiel ist derzeit nur auf englisch erhältlich.

“Nemo’s War” benötigt für das Setup etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten, die vor allem für das Sortieren der Schiffsmarker und Kartenstapel draufgehen. Wer die Komponenten vorsortiert aufbewahrt, ist natürlich schneller.

Fazit

Nemos War – 2nd Ediiton ist ein hervorragendes Solo-Player-Spiel. Zwar gibt es einen Mehrspielermodus, aber es wird schnell klar, dass die Designer einen Einzelspieler vor Augen hatten.

Es ist gar nicht so einfach zu erklären, was den großen Reiz ausmacht, warum man immer wieder zum Spiel zurückkehrt. Jedenfalls macht es einen Riesenspaß, sich von Spiel zu Spiel zu verbessern – das ist nicht einfach, das Spiel ist schwierig zu meistern. Die einzelnen Elemente der Mechanik ergeben in ihrer Summe ein sehr befriedigendes, motivierendes Spielerlebnis: Schätze sammeln, Schiffe versenken, das eigene Schiff verbessern und so peu à peu Siegpunkte anhäufen. Dabei gilt es, das eigene Glück so zu managen, dass möglichst viel dabei herausspringt. Die Würfelproben sind über den “Wetteinsatz” der Schiffsressourcen zum Teil beherrschbar – nie hat man das Gefühl, dem Glück auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein.

Im Gegensatz zu einem Spiel wie “Eldritch Horror”, das ebenfalls stark auf Würfelproben setzt, ist “Nemo’s War” deutlich strategischer ausgerichtet. Die Mechaniken sind vielschichtiger und greifen tiefer. Zudem hat man nicht ständig das Gefühl, permanent am Rand des Abgrundes zu agieren. Stattdessen hat man den durchaus motivierenden Eindruck, sich in den ersten Runden des Spiels zu wappnen für das, was kommt – die Lage spitzt sich dann auch schnell zu, und gegen Ende ist es regelmäßig knapp.

 

NemosWarUpgradeCard
Die Nautilus lässt sich über Upgrades besser ausrüsten.

 

Die narrativen Elemente sind trotz der tollen Stimmungstexte begrenzt, das Thema ist nicht so dick aufgetragen wie bei klassischen Vertretern des Ameritrash – das Spiel fühlt sich eher wie ein Strategiespiel an.

Schön ist auch, dass man – soweit man alles auf dem Tisch liegen lässt – das Spiel jederzeit gut unterbrechen kann. Das Spielerlebnis leidet nicht darunter.  “Nemo’s War” ist wegen seiner Vielseitigkeit jedem Einzelspieler wärmstens zu empfehlen, der vor dem recht hohen Komplexitätsgrad, dem Siegpunktesystem und der englischen Sprache nicht zurückschreckt. Auf deutsch ist “Nemo’s War” nicht erhältlich. Wer aber das nötige Kleingeld für den Import hat oder es bei einem deutschen Zwischenhändler findet, sollte zuschlagen.

Insgesamt: 8,5/10

3 Kommentare zu „Nemo’s War – 2nd Edition

  1. Tolle Seite und tolle Reviews. Da werde ich morgen mal genauer stöbern, da ich überwiegend auch solo spiele.
    Von Nemo’s War bin ich auch begeistert und habe es mir heute bestellt. Leider habe ich etwas Bedenken, dass ich an der englischen Anleitung scheitern werde.
    Auf irgendeinem Kanal habe ich gelesen, dass jemand an einer deutschen Übersetzung der Regeln arbeitet. Ist dir da was bekannt?

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    1. Hi Andy! Danke für das Feedback. Die englische Anleitung ist tatsächlich ein ganz schön harter Brocken. Ich habe leider nichts von einer deutschen Übersetzung gehört… Drücke dir die Daumen!

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